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Hauch mich mal an!
Von Reinhard Staubach

 

Mein Freund Manfred und ein Junge aus einer höheren Schulklasse hatten mich „eingeladen". Ich war acht Jahre alt. Aus irgend welchen Gründen fielen die letzten Unterrichtsstunden aus. Der Schnee taute, überall Matsch.

„Machst du mit?", fragte Manfred.
„Wobei?"
„Ob du mitmachst?"
„Lass ihn, der macht doch nicht mit", mischte sich der andere Junge aus der höheren Klasse ein, an dessen Namen ich mich nicht mehr erinnere.
„Machst du nun mit oder nicht?", bohrte Manfred erneut.
„Ich muss doch wissen...", begann ich.
„Entweder du machst mit, oder nicht."
„Komm, das is'n Feigling", sagte der aus der höheren Klasse.

Das war gemein. Ich wollte kein Feigling sein und stimmte schließlich zu, ohne zu wissen, worum es ging. Manfred ließ mich daraufhin in seine hohle Hand blicken, die er halb aus der Hosentasche gezogen hatte. Schnell schob er sie wieder zurück. Nun kannte ich das Geheimnis seiner Hosentasche: Ein Packung Sport. Sport stand damals auf den Zigarettenschachteln. Den einzigen Zigaretten, die es gab. Lang und breit berieten wir, wo es geschehen sollte. Schließlich entschieden wir uns für das Klo in meinem Geburtshaus. Meine Großmutter und die übrigen Familienmitglieder benutzten es nicht. Wir hatten unseren eigenen Lokus hinter dem Schuppen. Das Plumpsklo im Haus wurde nur von Looks und Kiewitz' benutzt. Und die waren alle zur Arbeit. Dort wären wir also ungestört.

Das Loch in der hölzernen Sitzfläche wurde mit einem Deckel abgedeckt. Es war eng. Nur zwei konnten zur selben Zeit sitzen. Der dritte musste stehen. Manfred und der andere hatten schon Erfahrungen mit Zigaretten und kicherten, als ich nach dem ersten Zug einen Hustenanfall bekam. „Am Anfang darfst'e nich' so ziehn'", belehrten sie mich fachmännisch. Bei der dritten Zigarette hatten ich es dann raus und stieß den Rauch genüsslich durchs winzige Klofenster.

Die Packung Sport enthielt zehn Zigaretten, also für jeden drei. Wir rauchten eine nach der anderen. An der zehnten zog dann jeder mal, bis auch die nur noch Asche war. Oft hört man, dass Jungen in jenem Alter nach der ersten Zigarette übel werde. Mir wurde nicht übel, wirklich nicht.

„Und vergiss nicht, Schnee zu essen", ermahnten mich die beiden, als wir fertig waren.
Ich muss sie wohl fragend angeblickt haben, weil ich nicht kapierte, wozu das gut sein sollte.
„Sonst merkt deine Oma es doch gleich, der Rauch", sagte Manfred und wedelte mit der Hand vor dem geöffneten Mund. Na und, dachte ich, aß draußen aber gleich brav ein paar Hände Schnee.
Anschließend trennten wir uns. Ich ging um die Hausecke und betrat Großmutters warme Stube.

„Wo warst du!?", herrschte Tante Grete mich an. Der Ton gefiel mir nicht. Wieso war sie zu Hause? Sollte sie nicht auf dem Feld sein. Hinter der Tür erblickte ich Frau Look, die sollte doch eigentlich auch auf dem Feld sein. Was war hier los? Oma saß schweigend auf ihrem Stuhl am Tisch.

„Was hast du gemacht? Hauch mich mal an!", sagte Tante Grete streng.
„Wie viel Zigaretten hast du geraucht?"
„Drei", gestand ich verwirrt...

„Über die Bank, aber schnell!“

Und dann setzte es Stockhiebe von bester Qualität. Meine Großmutter hätte nie so heftig zugeschlagen und ich glaube, sie war es auch, die meiner Tante Grete Einhalt gebot. Der schien es eine wahre Freude zu sein, mich wimmern zu hören.

Was war geschehen? Auch Frau Look war früher vom Feld gekommen, weiß der Teufel warum. Sie hatte aufs Klo gewollt. Das war von innen verriegelt, sie hörte uns plaudern und roch den Rauch. Schnurstracks war sie ums Haus und hatte gerade meiner Großmutter und Tante Grete ihre Beobachtung erzählt, als ich eintraf.

Später erfuhr ich, dass Manfred nur mit einer Ohrfeige gestraft worden sei. Er hatte erzählt, dass er nur eine halbe Zigarette probiert habe. Nur ich hatte naiv drei Zigaretten gestanden. Naiv hatte ich auch diese ersten Zigaretten geraucht. In der Familie rauchten nur Bruno und Alfred gelegentlich eine. Mir war nicht bewusst, dass nur Erwachsene rauchen durften. Nie zuvor hatte man mich entsprechend belehrt oder es gar verboten. Wahrscheinlich hielten mich, den Achtjährigen, alle für viel zu einfältig, trauten mir eine derartige Tat nicht zu.

Zur Rechtfertigung bekam ich keine Chance. Ich hätte damals wahrscheinlich auch nicht gewusst, wie ich sie nutzen könnte. Denn die Erwachsenen hatten grundsätzlich recht. Es war nicht üblich, das in Frage zu stellen.

 
 
 
 
   
 
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Was wir brauchen, sind ein paar verrückte Leute; seht euch an, wohin uns die normalen gebracht haben.
- George Bernard Shaw (1856 - 1950), irischer Dramatiker und Nobelpreisträger

 
 
 
 
www.reinhard-staubach.de © Copyright by Reinhard Staubach - Aktualisiert: Mittwoch, 28-Mär-2018