Seit
der Schulzeit hatten wir uns nicht mehr
gesehen. Nach meiner Ausbildung zum Drogisten
hatte ich gleich geheiratet und eine Familie
gegründet. Sabine war nach Süddeutschland
umgezogen und Journalistin geworden. Während
der Schulzeit waren wir dick befreundet
gewesen. Von Sabine hatte ich den ersten
Kuss bekommen. Doch sie war noch nicht reif
für die große Liebe. Nun war
sie wieder in Hamburg und hatte eine neue
Stelle angetreten. Neugierig fuhr ich nach
ihrem Anruf zu ihr.
"Vornehm,
vornehm", staunte ich und sah mich
anerkennend in Sabines geschmackvoll eingerichtetem
Appartment um. "Und all die Bücher.
Du meine Güte, hast du viele Bücher!"
"Ja,
die haben sich so im Laufe der Jahre angesammelt."
Sabinte tat, als sei es das normalste der
Welt. "Man muss sich stets weiterbilden,
sonst bist du heute out."
Bewundernd
las ich einige Buchrücken: "Die
Gesetze des Denkens", "Psychologische
Menschenführung", "Wie überzeuge
ich meinen Chef", "Alles ist erreichbar",
etc., etc.
"Und",
wollte ich wissen, "haben dir all diese
Bücher bei deiner Karriere geholfen?"
"Siehst
du das denn nicht?"
Sie
war jetzt stellvertretende Chefredakteurin.
Das Apartment hatte sie bereits bezahlt,
wie auch ihren Sportwagen. Sie konnte sich
viele Reisen leisten, nicht nur dienstlich.
Eine richtig moderne Erfolgsfrau hatte ich
vor mir.
"Aber
was quatschen wir da von mir", unterbrach
sie plötzlich ihre stolze Selbstdarstellung.
"Ich habe etwas Kuchen vorbereitet."
Sie
kam mit einem großen Tablett aus der
Küche zurück. Wir ließen
es uns schmecken und wärmten die guten
alten Zeiten kräftig auf.
Geheiratet
hatte Sabine immer noch nicht. Einen Mann
an ihrer Seite konnte sie offenbar nicht
brauchen. Es schien so, als habe sie ihr
Leben seit der Schulzeit rein wissenschaftlich
und strategisch geplant.
"Wenn
du gegen diese Männerwelt ankommen
willst", dozierte Sabine, "musst
du als Frau besser sein als die Männer.
Du musst mehr wissen, mehr können,
rationaler sein. Und du musst eine klasse
Frau sein."
"Ja,
man sieht's. Du hast alles geschafft. Aber
ein klein bisschen Glück hast du sicher
auch gehabt?"
"Ne,
ne," antwortete sie belehrend. "Du
darfst nichts dem Zufall überlassen.
Alles muss bis ins Kleinste durchdacht und
geplant sein. Du wirst sehen: In einem Jahr
bin ich Chefredakteurin."
Sabine
erzählte und erzählte. Doch dann
fiel ihr ein, dass sie noch einen wichtigen
Termin hatte und begann die Kaffeetassen
zusammenzustellen.
"Das
letzte Stück lassen wir für die
Hausgeister", sagte sie und stellte
einen Teller mit einem Stück Kuchen
auf den Tisch.
"Für
die Hausgeister? Habe ich da richtig gehört?"
"Ja
sicher, so ein Stück Kuchen stimmt
die Kobolde friedlich."
"Und
daran glaubst du?" Ich blickte unverhohlen
auf Sabines wissenschaftliche Bücherwand.
"Nein,
natürlich nicht. Aber es soll Glück
bringen, wenn man nicht daran glaubt."
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